Mein schönstes Opernerlebnis (und, naja, mein bisher einziges)

Ich kaufe mir ein Programmheft für 3,50 €, „das sind 7 Mark!“, wie wir alten weißen Männer sagen, und anschließend ordert M. uns ein paar Gläser Wein und Stehtisch Nummer 9 für die Pause, der bis dahin wiederum mit ein paar Gläsern Wein bestückt werden soll, vieles scheint möglich, hier in der Hamburgischen Staatsoper.
Während ich danach im Saal darüber sinniere, wann während der Vorstellung die Servicekräfte wohl den Wein auf den Tisch stellen werden und ob mein Weißwein dann wohltemperiert oder schon von jemandem ausgetrunken sein wird, ertönt die wunderschöne Ouvertüre zu Charles Gounods „Faust“, später in der Pause sollte ich zu M. sagen: „Es stellt sich mehr und mehr heraus, dass, egal wie unterschiedlich die von mir bisher gehörten Werke waren, ich absoluter Ouvertüren-Fan bin“, um irgendetwas musikbezogenes zu äußern. Der dunkle Vorhang bleibt währenddessen erstaunlich lange unten, als er sich endlich hebt, bekomme ich so Augen, wie sonst nur Kinder im Kasperletheater, um im Anschluss festzustellen, es ist nach wie vor nicht viel zu sehen. Denn der olle, des Lebens überdrüssige Faust sitzt jammerlappig in fast völliger Dunkelheit auf dem Boden, schließlich ist er mehrere hundert Jahre alt. Es ist beeindruckend, wie die auch im weiteren Verlauf tolle Lichtregie in dieser Anfangsszene ein derart düsteres, dabei aber knackig scharfes Gefühl der Verlorenheit zu vermitteln vermag, ich fühle mich an mehrere Filmklassiker gleichzeitig erinnert. Im realen Leben mag einer in einer solchen Situation denken, das geht doch mit dem Teufel zu, hier erscheint er leibhaftig.

Hinter uns nehmen verspätet Leute Platz, die aufgrund ihrer Verspätung nicht mehr auf ihre Plätze im Parkett gelassen wurden, wohl aber leider zu uns in die Loge, die jüngeren unter ihnen tuscheln und sind noch etwas aufgeregt. Ich nehme im Augenwinkel war, wie M. sich zu ihnen umdreht und dabei den Zeigefinger auf den Mund legt, er weiß, wie man so etwas macht, danach ist nämlich Ruhe. Leider atmet mir einer der älteren ein paar Mal in den Nacken, dagegen kann selbst M. nichts machen, nach der Pause sollten diese Leute aber verschwunden sein, wahrscheinlich zu ihren eigentlichen Plätzen. In der zweiten Hälfte sollte auf einmal eine Frau vom Personal hinter uns sitzen, die sogleich einschlafen, später jedoch, wieder wach, in den Schlussminuten leise ob ihrer Egriffenheit vor sich hinschluchzen sollte.

In der Pause fragt mich ein junger Mensch, ob ich wisse, wie lange diese ginge. „Ca. 25 Minuten“, antworte ich fachmännisch wie triumphierend, da ich dies vorher irgendwo gelesen hatte.
Zuvor zog mich bereits die Drehbühne mit den darauf montierten, riesengroßen, halbrunden und dunklen Wandelementen in ihren Bann, ständig verschwinden Bühnengegenstände und erscheinen wieder, im Falle der überdimensionierten Tulpentöpfe ist letzteres nicht unbedingt von Vorteil, schnell beginnen diese, mir auf den Wecker zu fallen, zumal sie sich im weiteren Verlauf zu vermehren scheinen. Auch die Sache mit den Masken und der Puppe erscheint doch sehr abgedroschen, immerhin wird letztere in der zweiten Hälfte aber derart groß, dass sich die Akteure gezwungen sehen, ihr sämtliche Gliedmaßen herauszureißen, um wieder etwas mehr Raum auf der Bühne zu haben. Altogether habe ich also mixed Feelings bezogen auf die Bühnenbilder, einiges daran finde ich sehr gut, anderes nicht so sehr.
Als herausragendes Highlight ist Olga Peretyatko als Marguerite zu nennen. Als sie vorne am Bühnenrand eine Schmuckschatulle findet und darüber, warum auch immer, eine erste, fantastische Arie trällert, ist es um mich geschehen. Wahnsinnig gut, die Olga, tolle Olga, Tollga (jaja, ich höre ja schon auf). Auch Adam Palka als Méphistophélès kann sehr schön singen, wie wir Laien sagen, der an sich sehr gute Faust (Pavel Černoch) fällt da ein wenig ab, was sich auch im für alle Beteiligten wohlverdienten, tosenden Schlussapplaus äußert, in seinem Fall eben nicht ganz so tosend, aber er ist auch mehrere hundert Jahre alt.
Auch der Dirigent Alexander Joel habe seine Sache sehr, sehr gut gemacht, so M., ich kann ihm da nur vertrauen, da ich diese Dinge nicht so gut beurteilen kann. Und freue mich, weil ihm anscheinend gewisse Details besser gefielen, als er sie von einer Aufführung im Jahr 2011 in Erinnerung hatte.

Abschließend Café Paris, Tartar Fromage, Bordeaux, Armagnac, das machen M. und seine Begleitungen nach der Oper immer so, jetzt auch ich.
Vielen Dank für diesen wunderbaren Abend.

Posted by katarrh

6 comments

Danke mein Lieber für diese angenehme, konzentrierte, neugierige und tolle Begleitung. Bei Deinem großartigen Text wurde mir sehr wohlig ums Herz, Sehr, sehr gerne wieder.
Viele Grüße
Mirco

Ich habe zu danken. Auch für all die Mühe, die du dir stets gibst, zum Beispiel dabei, dein beeindruckendes Wissen weiterzugeben.
Naja, es zumindest zu versuchen, ich kann mir sowieso nur einen Bruchteil davon merken.

Ja, sehr, sehr gerne wieder.

Wunderbarer Text und als wäre man bei Euch dabei gewesen! Vielleicht beim nächsten Mal…

Vielen Dank, das freut mich sehr.
Es war ein fantastisches Wochenende, was zu großen Teilen an eurer Beteiligung lag.

Toll beschrieben und gut beobachtet!
Was ich vermisse ist diese Info. War denn der Pausenwein nun wohl temperiert, wieviele Gläser waren es und waren tatsächlich welche ausgetrunken?

Vielen Dank.
Vor der Aufführung waren es für uns je zwei Gläser, während der Pause ein Glas Wein.
Nur in meiner Einbildung wurde letzteres kurz vor unserer Ankunft am Tisch von irgendeinem Hallodri geleert (der dann geteert und gefedert das Haus verlassen musste), aber sogleich vom aufmerksamen Servicepersonal durch ein volles ersetzt (welches dann, weil frisch, wohltemperiert war), sodass wir davon nichts mitbekamen.

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